Aus einem Schattenspiel zum Thema „Schöpfung“ entwickelte Kurt Schwerdtfeger in den Jahren 1922 bis 1923 das Reflektorische Farblichtspiel, dessen Kompositionen durch einen Film von 1966 überliefert sind. Das Reflektorische Farblichtspiel aber ist kein Film: Es ist ein Lichtspiel, das mit Hilfe eines Apparates in Form einer Black Box – bestehend aus Scheinwerfern, beweglichen Schablonen und einer Projektionsfläche – erzeugt wird. Dem Betrachter scheint farbiges Licht entgegen, das durch Schablonen geformt wird. Die Lichtformen manifestieren sich nur kurzweilig auf der Membran der Projektionsfläche, die zwischen Zuschauern und Scheinwerfern befestigt ist. Stets werden Formen und Kompositionen gefunden und wieder verworfen – eine bildliche Verlebendigung des Denkprozesses, das dem bildhauerischen Interesse Kurt Schwerdtfegers entspricht. Zwei historische Fotografien im Weimarer Archiv der Moderne weisen die abstrakten Kompositionen nach. Aufgeführt wurden sie während der Bauhauswoche 1923 im Jenaer Theater, zusammen mit anderen ikonischen Bühnenwerken >>>,>>>. Kurz darauf verlässt Kurt Schwerdtfeger das Bauhaus. Seine Reflektorischen Farblichtspiele präsentiert er am 2. April 1924 in Herwarth Waldens „Sturm“ und verfasst dafür eine Beschreibung für dessen Zeitschrift (März 1924, S. 46) >>>. Erst für Schwerdtfegers Lehre in Alfeld gewinnen die Farblichtspiele wieder an Bedeutung: Zusammen mit seinen Studenten der Kunstpädagogik rekonstruiert er den Apparat, dessen Konzeption er vergleicht mit den Experimenten von Moholy-Nagy und der neu aufkommenden Lichtkunst von Zero. Die rekonstruierten Kompositionen der Bauhaus-Zeit werden 1966 im Kunstverein Hannover aufgeführt und ein 16mm-Film der Performance entsteht >>>. Lange hat dieser Film die Rezeption der Reflektorischen Farblichtspiele bestimmt. Bis 2016 die Microscope Gallery in New York den Apparat der Reflektorischen Farblichtspiele von Kurt Schwerdtfeger im Kontext der Ausstellung „Dreamlands: Immersive Cinema and Art, 1905-2016“ des Whitney Museum of American Art nachbaute und zur Aufführung brachte >>>, >>>, >>>. Die einzigartige Erfahrung von brillant scheinender Farbe, entstehenden und vergehenden Formen, mechanischer und gleichzeitig menschlicher Arbeit kombiniert mit dem paradox erscheinenden Phänomen einer abstrakten Narration ist wieder zugänglich >>>.
In der Bildhauerklasse bei Josef Hartwig und Oskar Schlemmer am Bauhaus können mehrere abstrakte Arbeiten von Kurt Schwerdtfeger nachgewiesen werden, die räumliche Problemstellungen bearbeiten (Vgl. Katalog „Bauhaus. 1919–1928“, New York 1938, pdf-S. 45, 193, 194 und 196 >>>). Mit dem Gesellenstück „Kinderkopf“ beendet Kurt Schwerdtfeger seine handwerkliche Ausbildung mit einem figurativen Ansatz. Es ist nicht seine erste figurative Arbeit, die am Bauhaus entsteht: 1922 schuf er „Torso“, eine aus dunklem Marmor gehauene männliche Skulptur. Sie zeigt, was ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigen wird: Das Wesenhafte durch abstrahierte Formensprache erfassen.
Bemerkenswert ist die Vielfalt der Materialien, aus denen Kurt Schwerdtfeger seine Bildwerke schafft: In Stein, Marmor, Betonguss, Gips, Terrakotta, Aluminium oder Kupferblech findet sein Formwille Gestalt. 1925 übernimmt Schwerdtfeger in Stettin die Bildhauerklasse an der Kunstgewerbeschule. Die plastischen Arbeiten aus dieser Zeit sind größtenteils verschollen und können lediglich über Reproduktionen und in Kunstzeitschriften verfolgt werden – so in der Zeitschrift „Die Form“ 1927 >>>, 1928 >>>, >>>, 1933 >>> oder 1934 >>>. Auch in Paul Westheims Zeitschrift „Das Kunstblatt“ wird er 1927 lobend mit drei Werken besprochen, die in der juryfreien Großen Berliner Kunstausstellung zu sehen waren. Als Porträtist erhält Kurt Schwerdtfeger mehrere Aufträge und schafft selbstständig Büsten von Stettiner Bürgern, unter anderen von den liberalen Politikern Julius Lippmann und Georg Manasse, von Erwin Ackerknecht, Otto Holtze oder Walter Rietzler. Seine Figur- und Tierdarstellungen nähern sich in der Mitte der 1920er Jahre stark dem Art déco und werden zum Ende des Jahrzehnts immer geschlossener, runder, schwerer. Während der 20er Jahre und auch der Zeit des Nationalsozialismus entstehen mehrere Arbeiten im öffentlichen Raum, so unter anderen der Schwanen-Brunnen in Stettin >>>; und bildhafte Komponenten in architektonischen Anlagen, wie Sgraffito am Eingang einer Volksschule >>>; oder eine aus Kupfer gedrechselte Wanduhr mit Sternenbildern >>>, und, deutlich später und stilistisch weit entfernt von früheren Arbeiten, ein Relief in Stettin, den Heiligen Georg zeigend, und weitere in Köslin.
In der Nachkriegszeit verfolgt Kurt Schwerdtfeger seine Fragestellung nach dem Wesenhaften weiter. In Bronzegüssen, Terrakotta, Stein und Beton ergründet er Tiere – ob Fisch, Schaf, Eule, Fledermaus –, Menschen und abstrakte Begriffe der Schöpfung, des Wachsens und Keimens. Es entstehen Kleinplastiken genauso wie Werke für den öffentlichen Raum, wie „Triceratops“ >>>, „Franziskus“ (1960) >>>, „Insel“ >>>; oder das Sgraffito des Niedersachsenpferdes für den Plenarsaal des niedersächsischen Landtags, das 2014 ersetzt wurde >>>,>>>. Die Entwürfe sind von graphischen Wiedergaben begleitet, die den skulpturalen Werken jedoch in der Regel untergeordnet sind. Eine Serie Holzschnitte mit mythologischen Szenen ist davon ausgenommen.
Kurt Schwerdtfeger gehört zu jenen Schülern des Bauhaus, die die spezifische Pädagogik der in diesem Fall Weimarer Schule weitertrugen. Zunächst wurde Kurt Schwerdtfeger 1925 in Stettin angestellt. Gregor Rosenbauer, der Direktor der Hochschule, war Mitglied des Werkbundes und beschäftigte in Absprache mit Walter Riezler, Direktor des Stadtmuseums Stettin, auch Else Mögelin und Johannes Itten, um die Vermittlung von Kunst in Stettin auf ein zeitgenössisches Niveau zu heben. In der Nachkriegszeit nimmt Kurt Schwerdtfeger eine Stelle an der Pädagogischen Hochschule in Alfeld an. Von seinem offenen Verständnis des künstlerischen Schaffens, das bereits im Binden eines Straußes hervortreten kann, sowie von seiner natürlichen Autorität erzählen seine Student*innen >>>. Seine Lehre, die stark vom Bauhaus geprägt ist, fasst Kurt Schwerdtfeger 1953 in dem Buch „Bildende Kunst und Schule“ zusammen. Es ist bis 1970 in sieben Auflagen erschien.
Kurt Schwerdtfegers Lebenslauf ist geprägt von dem Bruch, den die Zeit des Nationalsozialismus bedeutete. Geboren 1897 in Deutsch Puddiger in Pommern schreibt sich Schwerdtfeger 1919 zunächst in Königsberg, dann Jena für Kunstgeschichte und Philosophie ein. 1920 wird er Schüler am neu gegründeten Bauhaus in Weimar. Er tritt in die Bildhauerklasse von Josef Hartwig ein, die von Oskar Schlemmer als Formmeister und Johannes Itten im Vorkurs begleitet wird. Kurt Schwerdtfeger gestaltet eigene Bildwerke sowie Beiträge für Aufträge, Feste und Ausstellungen, in deren Rahmen auch die Reflektorischen Farblichtspiele entstehen >>>. Als studentischer Vertreter nimmt er Teil an Sitzungen und greift in die Planungen und Umsetzungen der Bauhauswoche ein. 1924 verlässt Kurt Schwerdtfeger das Bauhaus. 1925 ruft ihn Gregor Rosenbauer >>> nach Stettin, wo er 1927 die Leitung der Bildhauerklasse an die Stettiner Kunstgewerbeschule übernimmt. Schwerdtfeger stellt unter anderem in der Sturm Galerie aus, mit der Berliner Sezession und der französischen Gruppe l‘UAM (Union des artistes modernes) >>>. Er ist Mitglied der Novembergruppe, des Werkbundes und später des Künstlerbundes Neues Pommern. Zusammen mit seiner Frau Hildegard und seinen Kindern Stefan und Brigitte lebt Kurt Schwerdtfeger in einem Einfamilienhaus in Stettin. Während des Nationalsozialismus ist die Existenz der Familie gefährdet: Hildegard stammt aus der Familie Hanau aus Frankfurt und obwohl ihr ursprünglich jüdischer Vater bereits konvertiert war, gilt sie nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen als Jüdin. Doch auch Kurts Kunst gefährdet die Familie. Eine Gruppenausstellung in Köslin wird 1934 geschlossen >>>. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Novembergruppe wird Schwerdtfeger im Juni oder Juli 1937 entlassen. In dem Stettiner Reihenhaus, das die Familie zu dem Zeitpunkt bewohnt, richtet er sich daraufhin ein Atelier ein. Seine Plastik „Widder“ sowie weitere Werke werden aus den Museen entfernt >>>. Bei einem Besuch in Berlin erkundet Schwerdtfeger das ehemalige Atelier von Ernst Barlach. Dort begegnet er einem der Händler „entarteter“ Kunst und kauft ihm ein eingelagertes Werk ab: Eine Büste, die er selbst geschaffen hatte. In der Zeit des Nationalsozialismus entstehen weiter Arbeiten, sowohl im privaten als auch öffentlichen Auftrag. Seine Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg, in den er freiwillig gezogen war, verhindert den Einsatz an der Front des Zweiten Weltkrieges. Kurt Schwerdtfeger verwaltet das Munitionslager in Stettin. Ein nur als Anekdote überliefertes Angebot von Walter Gropius, nach Amerika zu kommen und am New Bauhaus zu unterrichten, lehnt er ab. Die Familie flieht am Ende des Krieges nach Norddeutschland. Der Besitz bleibt zurück, auch die Korrespondenzen mit und Arbeiten von Freunden und Bekannten gehen verloren. 1946 wird Kurt Schwerdtfeger von Adolf Grimme als Professor an die Pädagogische Hochschule Alfeld gerufen, an der er zukünftige Kunstlehrer*innen unterrichtet. Kontakt hat er unter anderen zu Paul Citroen, Walter Gropius, Gregor Rosenbauer und Lothar Schreyer. In seinem Atelier im Wohnhaus in Himmelsthür bei Hildesheim entstehen neue Bildwerke, die er unter anderem im Kunstverein Hannover ausstellt, auch zusammen mit seinem Sohn Stefan Schwerdtfeger. 1966 verstirbt Kurt Schwerdtfeger in Himmelsthür. Zahlreiche Aufträge und Werke für den öffentlichen Raum halten sein Verständnis für Form und Wesenhaftigkeit präsent. In Alfeld wurde zudem eine Aula nach ihm benannt und die Plastik „Heiliger Franziskus“ öffentlich aufgestellt. In Berlin und Stettin befinden sich Arbeiten in öffentlichen Sammlungen.
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Paula Schwerdtfeger
Kunsthistorikerin
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